Sophias FSME Impfung II

Ganz eifrig schnappe ich mir unaufgefordert die Tropfen und fülle sie in unser Inhalationsgerät, koche mir zusätzlich einen Erkältungstee und packe mich vorsorglich warm ein. Ich hoffe damit die andere Prozedur vor dem Schlafengehen zu umgehen.

Ich will damit signalisieren, dass ich das ernst nehme, dass man sich auf mich verlassen kann und dass ich älter geworden bin, das mulmige Gefühl in meiner Magengegend bleibt.

„Sophia, ich bin stolz auf Dich, wie Du das alles selbstständig machst, Dir scheint es tatsächlich gut zu gehen, hab ich´s doch gewusst, Du wolltest nur die Impfung heute umgehen, hab ich recht?“

„Nein, Papa, der Dr. Martinez hat mich doch untersucht und festgestellt, dass ich nicht 100% bin!“

„Ha! Aber 99!!! Hast Du manipuliert?“

„Jetzt glaub mir doch!“

„Das werden wir ja sehen, ich werde das nachprüfen, vergiss das nicht!“

Eingeschnappt, dass er mir nicht glaubt, brauche ich mich nicht weiter ins Zeug legen, ich lasse mich schmollend auf die Wohnzimmercouch mit dem Handy nieder.

„Du brauchst nicht die Beleidigte spielen, sag mir lieber, wieso Du die Zäpfchenschachtel vor uns versteckt hast?“

„Weil ich die nicht mag, ganz einfach!“

„Das weiß ich doch, aber wenn Du doch krank bist und es Dir nicht gut geht, dann verstehe ich den Zirkus nicht!“

„Ja mir geht es halt nicht so ganz schlecht, Dr. Martinez hat auch gesagt, es sei grenzwertig, vielleicht brüte ich was aus!“

„Ach so, ich verstehe. In einer halben Stunde hier, werde ich das überprüfen!“

„Oh Mann Papa!“

„Ende der Diskussion!“

Was mache ich nur? Sicherlich wird er selber messen wollen und da ist manipulieren zwecklos, ebenfalls ist es zwecklos mit ihm zu verhandeln, falls das Thermometer doch ansteigt.

Ich stochere in meinem Abendessen herum und Papa entgeht das nicht. Er taxiert mich mit seinem durchdringenden Blick, er räuspert: „ Sophia, leg Dein Besteck zur Seite, man kann gar nicht hinsehen, zieh Dich um und mach es Dir auf der Couch bequem bis ich fertig bin.“

Ja, der Hunger hält sich in Grenzen, weil ich weiß, was dann noch kommt, ich muss zuviel nachdenken.

Schnell bin ich umgezogen und mit schlotternden  aufgestellten Beinen versuche ich mich durch das Abendprogramm am Fernseher abzulenken und zu beruhigen.

Papa scheint sich mit Absicht noch Zeit zu lassen, räumt den Tisch ab, schaltet den Geschirrspüler ein, normalerweise kümmert er sich sofort um mich, wenn es mir nicht so gut geht und ich den Anschein mache, dass ich krank bin.

Jetzt bleiben meine Eltern auch noch in der Küche sitzen und bequatschen irgendetwas. Ich kann nicht hören, ob es um mich geht, verstehe nur ein paar Gesprächsfetzen die mir nichts sagen.

Endlich höre ich das zurück Schieben und Scheppern der Stühle, Papa hat einen Metalllöffel dabei und in der anderen Hand trägt er sein Handy.

„Soo Sophia, dann wollen wir mal, setz Dich auf und mach mal Deinen Mund ganz weit auf, Du kennst das Spiel ja, oder?“

„Jaa!“

„Rolle nicht mit den Augen, Fräulein!“

Zu Befehl! Ich stütze mich auf, während ich mich hinsetze, ich lege meinen Kopf in den Nacken und strecke Papa meine Zunge heraus.

Mit der Handytaschenlampe leuchtet er in meinen Rachen und mit dem Löffelstiel drückt er meine Zunge gegen meinen Mundboden. Ich muss mich fast dabei übergeben, weil er zu weit nach hinten kommt.

„So ist es gut, Sophia, nun ja, die Zunge ist leicht belegt, der Rachen leicht gerötet, dann werden wir mal weiter suchen müssen, ich hole mal meinen Arztkoffer!“

Wieder muss ich unwillkürlich mit den Augen rollen und unbewusst entweicht mir ein tiefer, gequälter Seufzer.

Papa dreht sich um, „Du, mir entgeht das nicht!“

Das war auch irgendwie klar!

„Setz Dich hin!“ eine kurze, klare Ansage, der ich auch ohne Widerrede folge.

Er holt aus seiner schwarzen Ledertasche ein Stethoskop heraus, „Papa, bitte wärm das an, das fühlt sich immer so furchtbar kalt an auf der Haut!“

„Das sind nur ein paar Sekunden, das wirst Du überleben, aber wenn Du meinst, dann wärme ich das natürlich in meiner Hand an.“

Unaufgefordert ziehe ich mein Shirt hoch über den Kopf und ich erschrecke trotzdem, als die Membran meinem Brustkorb berührt, die andere Hand legt er mir auf den Rücken, sie ist angenehm warm im Gegensatz zu dem Gerät.

„Das hat doch Dr. Martinez heute auch schon alles gemacht!“

„Ja und ich mache das nochmals, ist ja schon ein Weilchen her.“

Ich atme tief ein und halte die Luft an, dann langsam wieder aus, er braucht gar nichts sagen, ich mache das von selbst.

Dann das gleiche am Rücken nochmals, ich hole tief Luft, halte sie an und dann lasse ich meinen Atem langsam aus meinen Lungen heraus, schnell streife ich mein Shirt wieder nach unten.

Papa scheint zufrieden zu sein, kein Sekret, das mich irgendwie behindert, nichts zu hören, meine Atemwege sind frei.

„Um die Untersuchung zu vervollständigen bitte ich Dich, dass Du Dich hinlegst, eigentlich gleich über meine Beine, zieh Deine Hose herunter!“

Jetzt zögere ich doch noch dabei, obwohl ich natürlich wusste, dass er mir das Thermometer in den Hintern stecken würde, das gehört bei ihm immer dazu. Aber immer noch besser als die Spritze heute.

Ich spanne mich an und kneife meinen Hintern zusammen, obwohl ich ja weiß, dass ich nicht verschont bleibe.

„Locker lassen!“ wieder einer seine üblichen Befehle, die ich schon 1000 mal gehört habe.

Ich entspanne kurz und als ob er nur darauf gewartet hat, schiebt er mir das kalte, harte Thermometer gnadenlos in meinen Po. Ich habe keine Chance das unliebsame Ding herauszupressen, mit seiner Hand hält er während der ganzen Messdauer das Thermometer fest  und schiebt es immer wieder nach.

Er spricht keinen Ton zu mir, aber ich bin zum Glück schnell erlöst, als es piepst. Neugierig drehe ich mich um, ich erwarte ja jetzt das obligatorische Fieberzäpfchen, das er bestimmt schon bereit gelegt hat. Er sagt mir nicht, wie hoch mein Fieber ist, aber die Messung war auch schnell fertig.

„Von wegen, Du hast uns doch was vorgemacht! 37,6° , das ist nichts! NICHTS! Dein Rachen ist etwas gerötet, das ist alles. Ich werde Dich morgen höchstpersönlich zu Dr. Martinez bringen und ich werde mit hineingehen! Damit Du mir nicht entwischst. Du hast jetzt eine Nacht Zeit um Dich seelisch darauf vorzubereiten.“

Ich merke, dass ich etwas rot werde, ich hab mir tatsächlich etwas eingeredet, dass ich leicht krank bin, das funktioniert bei mir, umso enttäuschter war ich, dass er mir  nicht geglaubt hat.

„Um Deinen Anflug von einer Erkältung vorzubeugen, nicht dass Du über Nacht tatsächlich Fieber und Schmerzen bekommen solltest, wirst Du jetzt eine Tablette nehmen und ich bleibe dabei, damit Du sie nicht ausspucken kannst. Die Zäpfchen willst Du ja nicht, wie Du sagst.“

Mein Hals schnürt sich jetzt schon zusammen und wird ganz trocken, keine Speichelproduktion mehr, nur die Angst, mir könnte die im Hals stecken bleiben.

Papa holt ein Glas Wasser…Wasser!!! Das muss man sich mal vorstellen, ich weiß jetzt schon, dass das nicht klappt. Mit einem Glas Wasser werde ich das nie schaffen, die große Tablette hinunter zu würgen.

Ich hab es gewusst, sie bleibt mir im Hals stecken, sie klebt richtig auf der Zunge und das Glas Wasser ist leer. Mich schüttelt es, es schmeckt so furchtbar bitter und ich hole sie mit meinen Fingern wieder heraus.

„Kann ich bitte noch etwas zu trinken haben? Vielleicht mit Geschmack, die schmeckt so bitter!?“

„Nein, Du wirst das lernen mit Wasser und zwar jetzt! Du wolltest das nicht anders!“

Ich gebe auf und unter Stöhnen nehme ich die Tablette wieder zwischen zwei Finger und lege sie ganz weit hinten auf meine Zunge. Dieses Mal versuche ich es mit einer anderen Technik und trinke das Wasser nicht zu schnell herunter, sondern Schluck für Schluck und lasse es in meinem Mund. Die Tablette löst sich auf und vermischt sich mit dem Wasser zu einem ekelhaften Brei. Mich würgt es während ich das Wasser herunterspüle und die Tablette weiter in meinem Mund kleben bleibt.

„Hast Du es geschafft? Mach Deinen Mund auf!“

Unter Tränen mache ich meinen Mund auf und meinen Papa wundert es nicht, als er sieht, dass ich die Tablette noch im Mund habe.

Ich flehe ihn an, „Papa bitte schau weg, lass mich alleine, ich kann das nicht, wenn Du zuschaust!“

„Nein, Du würdest sie nicht schlucken!“

Ich steigere mich dermaßen hinein, und er schaut mich mit unbedeutendem Blick dabei an, weder enttäuscht, noch streng, einfach ohne irgendwelchen Emotionen.

Wie kann er mich nur so leiden sehen?

Ich muss es weiter versuchen, schütte mir das Wasser schwungvoll in den Mund und hoffe, dass ich die Tablette damit automatisch herunter spülen kann. Sie bleibt mir im Hals hängen, ich muss kräftig husten, mein Papa klopft mir auf den Rücken.

„Dann gibt es eben doch ein Zäpfchen wenn das nicht klappt!“

Vor lauter Schreck verschlucke ich mich und die Tablette ist mit weg, ich spüre sie, wie sie langsam in der Speiseröhre nach unten wandert, als ob sie zu groß ist dafür, obwohl sie sich schon zur Hälfte aufgelöst hat.

„Papa, ich habe es geschafft, sieh nur!“ und ich reiße meinen Mund ganz weit auf.

„Das wurde auch Zeit, muss ich Dir immer drohen, damit das klappt?“

„Nein, aber ich hab immer Angst, dass ich mich daran verschlucke und zu ersticken!“

„Nun, es ging ja nochmals gut aus und der Impfung steht für morgen nichts mehr im Wege!“

Ich verabschiede mich und gehe in mein Zimmer, glücklich, dass ich es geschafft habe, fürs erste zumindest. Der Gedanke daran, dass Papa mich morgen zu dem Arzt begleitet jagt mir aber trotzdem Furcht ein.

Hinterlasse einen Kommentar