Yunus hat einen straffen Terminkalender in dieser Woche, so kommt es, dass er keine Zeit für Katharina hat, was sie nachdenklich stimmt. Sicherlich weiß sie, dass es Zeiten gibt, in denen er mehr arbeiten muss und in seinem Job kann er eben nicht pünktlich den Stift fallen lassen und gehen, da hätte sie sich jemand anderen suchen müssen. Also es ist der vierte Tag, an dem sie abends alleine Zuhause sitzt und Yunus nicht kommt. Mal gibt es einen Notfall und er steht zu lange im OP, am Tag später ist er zu müde und muss den verpassten Schlaf der vorangegangenen Nacht nachholen. Aber auch in der Arbeit trifft sie ihn kaum, denn statt Visite zu machen, sitzt er in der Sprechstunde und lässt sich nicht blicken. Katharina ist etwas verwundert und sie macht sich Gedanken, ob wohl irgendetwas vorgefallen ist, was ihm Anlass gibt, ihr aus dem Weg zu gehen.
Wenn sie ihn anruft, geht er nicht ans Telefon oder er drückt sie einfach weg, was ist los mit ihm, will er etwas Abstand vor ihr haben oder ist sie ihm überdrüssig?
Von Tag zu Tag schmerzt es sie mehr, es ist wie ein Verlust und das Schlimmste daran ist, dass er nicht mit ihr redet und sie weiß nicht warum. Was ist geschehen? Sie grübelt jeden Tag mehr über ihr Verhalten, ob sie irgendetwas falsch gemacht hat, ob sie ihn verärgert hat und findet keinen Grund für sein Wegbleiben. Sie schreibt ihn Kurznachrichten und er schreibt nicht zurück, nicht mal einen Kommentar, meist bleiben ihre Nachrichten auch ungelesen, denn das Häkchen bleibt grau und nicht blau. Sie wirkt betrübt, nahezu verzweifelt und nach ein paar Tagen fällt es auch Mona in der Arbeit auf, dass irgendetwas mit Katharina nicht stimmt. Und ja, auch sie bemerkt, dass sie Yunus den Oberarzt schon ein paar Tage nicht gesehen hat. Krank oder im Urlaub ist er aber nicht, denn sein Name steht regelmäßig auf dem OP-Plan.
„Katharina? Ist irgendwas zwischen Dir und Yunus?“
Ich schaue Mona mit großen, vorwurfsvollen Augen an und fühle mich durchschaut, „Ach Mona, das wenn ich wüsste, ich sehe ihn zur Zeit kaum, irgendwie geht er mir aus dem Weg!“
„Wenn ich nur wüsste, wie ich dir irgendwie helfen kann?!“
„Ich weiß es auch nicht, aber sprich mich nicht weiter darauf an, zumindest nicht hier, nicht dass ich hier heulen muss, es reicht schon zuhause, dass ich mir die Augen ausheule!“
„Mensch Katha, das ist doch kein Dauerzustand, Du versinkst ja noch in Depressionen wegen dem! Du musst doch wissen, was vorgefallen ist!“
„Nein, das weiß ich eben nicht und er will anscheinend nicht mit mir sprechen, am besten wäre, wenn ich mich versetzen lasse!“
„Ihr müsst miteinander reden!“
Katharina schnaubt verbittert „Pah!“
„Ich habe es immer schon gesagt, der Typ tut dir nicht gut!“
„Ach was weißt Du denn schon, was gut für mich ist!“
„Ich meine ja nur, schau dich doch mal an! Jetzt verteidigst Du ihn auch noch!“
„Gar nicht, aber ich liebe ihn eben, da kann man nichts machen, es wird bestimmt bald wieder!“
„Und ihr hattet keinen Streit?“
„Keinen Streit! Es gibt bestimmt eine logische Erklärung für sein Verhalten!“
„Dass Du immer nach Ausreden suchst, dich nimmt es doch mit!“
„Ja, schon, aber lass uns jetzt das Thema beenden!“
„Wie Du meinst, sag Bescheid, wenn Du reden willst, ok?“
„OK“
Wochenende, es ist Freitagabend, und Katharina sitzt wieder alleine Zuhause:
Warum meldet er sich nicht? Warum antwortet er nicht? Der soll nur kommen, jetzt tue ich es genauso wie er und lasse ihn abblitzen. Genau in dieser Sekunde klingelt das Telefon…
„Hallo Schatz, Yunus hier, es tut mir so ……“
Klick- ich kann nicht anders, ich lasse den Telefonhörer fallen, was er kann, kann ich schon lange.
Das Telefon klingelt wieder, ich nehme den Hörer ab, nur um ihn gleich wieder wegzudrücken.
Das Spielchen hatten wir schon mal, es folgt eine Nachricht auf dem Handy, „Na gut, wenn Du so nicht willst, dann eben anders!“
Schluck, was soll diese Botschaft? Er macht mir Angst, sicherlich kommt er gleich und steht, als wenn nichts gewesen wäre vor meiner Tür, nein dieses Mal nicht, so leicht geht das nicht!
Doch es passiert nichts, insgeheim hoffe ich natürlich, dass es so wäre, aber Yunus ist nicht vorhersehbar, ich kann ihn nicht einschätzen.
Weder an diesem Abend, noch am nächsten Tag bekomme ich irgendein Lebenszeichen von Ihm, Mona hat irgendwie Recht, er macht mich krank und ich vergehe beinahe vor Sehnsucht.
Sonntagmittag klingelt es an meiner Haustür, ich will eigentlich gar nicht aufmachen, im schlimmsten Fall sind es meine Eltern und die brauche ich in meinem Zustand erst recht nicht. Es klingelt wieder, doch ich bleibe regungslos stehen und reagiere nicht. Mein Auto steht in der Tiefgarage und niemand kann sehen, ob ich tatsächlich zuhause bin. Ich schaue durch den Spion und erkenne eine jüngere Frau die ich noch nie gesehen habe. Vielleicht eine Zeugin Jehovas oder sonst was, ich öffne die Tür nicht und ärgere mich wieder, dass die Haustür unten nur mit dem Schnapper geschlossen ist.
Die Frau scheint sich zu bücken und es sieht so aus, wie ich vermuten kann, dass sie vor meiner Tür etwas abgelegt hat, sicherlich nur Werbung oder so was. Sie geht mit schnellem Schritt wieder die Treppen hinunter und eigentlich interessiert mich gar nicht, was sie vor meiner Tür abgelegt hat. Für eine Zeugin Jehovas oder sonst eine Angehörige einer christlichen Vereinigung war sie jedoch zu bizarr gekleidet. Ihre Aufmachung macht mich stutzig und ich warte, bis ich nachschaue, was sie vor meiner Tür abgelegt hat.
Ich bücke mich, es ist ein ganz normaler Briefumschlag, keine Werbung, kein Spendenaufruf oder sonst was in der Richtung, ein weißer Briefumschlag mit meinen Namen drauf, in sauberen Druckbuchstaben geschrieben, nicht einfach so hingekritzelt. Ich nehme den Brief an mich und eile an mein Fenster, um vielleicht die Frau noch von hinten zu sehen, aber sie war schon verschwunden, ich kenne sie nicht, habe sie noch nie, zumindest nicht bewusst, vorher jemals gesehen.
Mein Herz schlägt bis zum Hals als ich den Brief vorsichtig öffne, denn ich will ihn nicht kaputt machen, wer weiß, was das bedeuten soll.
Ein ganz normaler zusammengefalteter Zettel, ich erkenne nun die Schrift, ein Brief in Yunus schönster Schrift, er hat sich echt Mühe gegeben. Aber was soll das? Wer war um Himmels Willen diese Frau? Wie kommt er dazu? Muss ich mir da vielleicht Gedanken darüber machen? Ein gewisses Unwohlsein macht sich in meinem Inneren breit.
Keine liebevolle Anrede, nur ein Befehl:
Du wirst heute um 17°° pünktlich mit der bereitgestellten Kleidung in der Friedrichstrasse 15 erscheinen, benutze die Klingel mit dem Namen M. Nikolajew.
Du stellst Dich vor als Katharina, Du wirst erwartet!
Ich erwarte von Dir absolute Pünktlichkeit und Gehorsam!
Ich bin wie vom Donner gerührt, welche Kleidung? Ich muss nochmals nachschauen, da lag nur der Brief! Ich reiße meine Wohnungstür auf und da steht diese mysteriöse Frau wieder, neben meiner Tür mit einer Schachtel. Ich erstarre, die Frau mustert mich mit ihren dunklen Katzenaugen von oben bis unten und überreicht mir die Schachtel ohne auch nur ein Wörtchen zu sagen. Sie bleibt stehen und in ihren Augen kann ich etwas lesen, wie Abneigung oder eine gewisse Arroganz, sie kehrt auf ihren Absätzen um und rennt eilig die Treppe hinunter.
Meine Aufregung steigt und mein Hals wird trocken, ich kann es nicht erwarten, um zu sehen, was in dem länglichen Karton versteckt ist. Ich nehme den Deckel ab, mein Atem stockt, vorsichtig ziehe ich den weißen Seidenstoff aus der Schachtel, ein Hauch von nichts. Ich halte dieses Kleid vor meinem Körper und betrachte mich damit im Spiegel, es ist ein ganz zartes Kleid, es reicht mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel, es ist verrucht und elfenhaft zugleich. Ich entledige mich meinen Alltagsklamotten und streife mir das Elfenkleid über. Mit meinen langen blonden Haaren wirkt es fast unschuldig an mir, ich schaue zerbrechlich darin aus, was vielleicht auch daran liegt, dass ich in der letzten Woche kaum etwas gegessen habe. Es ist durchaus tragbar, wirkt nicht als Verkleidung, eher edel. Yunus hat einen sehr erlesenen Geschmack und weiß was mir steht. Dazu weiße Stilettos und zarte Nylons, bei deren Anblick schon Laufmaschen entstehen. Ich muss sehr vorsichtig damit umgehen. Keine Accessoires, kein Schmuck oder Gürtel oder so lenkt von dem Outfit ab, jedoch ist es etwas durchsichtig, auch die Nylons verdecken nicht alles, was es zu verdecken gibt.
Ich muss mich ausgiebig darauf vorbereiten, ich muss mich gut rasieren, dann erkennt man vielleicht wirklich nichts darunter. Es ist keine Wäsche dabei, weder Slip noch BH, aber da habe ich ja genügend Sachen, die perfekt darunter passen.
Was hat er sich nun schon wieder ausgedacht? Was wird passieren? Wird er mich vorführen? Und was ist das überhaupt für eine Adresse? Ich kenne sie nicht, ich kenne die Straße, aber ich weiß nicht, wo seine Freunde und Bekannte alle wohnen, denn die haben wir ja lange genug ausgegrenzt aus unserer Beziehung, nur ein paar Einzelne wissen von uns, genauso wie bei mir, gemeinsame Freunde haben wir nicht. Umso unwohler fühle ich mich, auf wen ich in dieser Wohnung treffe.
Mir ahnt Schlimmes, was weiß ich überhaupt über diesen Yunus? Vielleicht ist das seine Zweitwohnung, ein anderes Leben, dass er mit dieser ominösen Frau teilt, ich mag gar nicht daran denken, kann es mir aber auch nicht ernsthaft vorstellen, oder ich will es einfach nicht wahrhaben, war ich in all der Zeit so blind, so naiv? Werde ich jetzt bestraft für das, dass ich so blauäugig war und vorgeführt wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe im Jungfrauenkostüm?
Oder findet dort eine Party statt? Ein Maskenball? Aber das würde auch nicht so zu Yunus passen. Ich hätte die Frau festhalten sollen und fragen sollen, ihr Blick sagte mir, dass sie bescheid weiß.
Bescheid über Yunus und mich, vielleicht lag auch etwas Enttäuschung in diesem abschätzenden Blick. Mein Gott, was soll ich tun, was ist, wenn das seine Zweitfrau ist und jetzt die Trennung zwischen mir und ihm zelebriert wird, weil ich zu zickig bin, nicht unterwürfig genug für einen Mann seiner Herkunft und mit seiner anderen Mentalität.
Jedoch bewunderte ich ihn immer für seine freie Liebe mir gegenüber, sein Verhalten so westlich und locker und ohne Konventionen. Hat er mir das immer vorgespielt oder hat die andere Frau ihn ertappt und er muss sich jetzt vor mir trennen? Ich mag gar nicht daran denken oder geht meine Fantasie mal wieder mit mir durch.
Fantasie kann beflügeln, kann mich fördern, aber eben auch einbremsen!
Eigentlich bräuchte ich vor diesem Abend mindestens eine Flasche Prosecco um meine Nervosität zu stillen, aber ich kann unmöglich beschwipst dorthin gehen, Yunus würde mich sofort wieder wegschicken, ich weiß es. Ich muss nüchtern bleiben, sauber und clean, genau wie diese Klamotten in die er mich gesteckt hat und in die er mich sehen will.
Er kennt mich zu gut, um zu wissen, wie ich mich in solch einer Situation fühle und ich weiß, er wird es voll auskosten, ich kann sein leichtes, spöttisches Grinsen um seine Mundwinkel schon erahnen!
Die Zeit bis ich aufbrechen muss, zieht sich wie Kaugummi und wie so oft, muss ich mich beherrschen, nicht an meinen Fingernägeln zu kauen. Die Zeit bis zu dieser „Bescherung“ kann ich nicht mal mit Masturbieren überbrücken, zu aufgeregt bin ich, obwohl mir bei dem Gedanken schon der Saft aus der Muschi läuft. Ich weiß aber, dass Yunus das nicht mag und werde mich hüten heute Gebrauch davon zu machen. Ich beschließe den Fernseher anzuschalten, nur zur Berieselung, denn darauf konzentrieren kann ich mich nicht, auch nicht aufs Lesen, das Einzige was geht ist Kreuzworträtsel lösen und in Zeitschriften zu blättern, Hauptsache ich habe etwas in der Hand.
Irgendwie habe ich die Zeit des Wartens doch totgeschlagen und ich fahre in die Friedrichstraße und suche zu Fuß das Haus mit der Nummer 15. Es ist ein altes Haus, fast schon eine Villa, in dieser Gegend nähe des Parkes stehen viele solche schönen, alten Villen aus der Gründerzeit.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und es mischt sich zu meiner Unsicherheit noch ein Gefühl der Geilheit mit, die ich nicht richtig genießen kann.
Es stehen insgesamt drei Namen an der Haustür, die Klingel mit der Aufschrift M. Nikolajew ist die oberste und befindet sich unter dem Dach.
Zaghaft drücke ich auf den Klingelknopf, nach einem Moment meldete sich eine dunkle Frauenstimme mit russischem Akzent: „Ja bitte?“
„Ha….Hallo… hier ist Katharina, darf ich reinkommen?“
„ Bitte?“ sagt die Frauenstimme wieder. Bin ich etwa falsch hier? Nein, der Name stimmt, aber was ist, wenn diese Frau hier hinter dem Türöffner gar nicht weiß von meinem Besuch?
„Katharina, ich…ich sollte um 17°° hierher kommen! Entschuldigung!“
Ich bemerke mein Handy und schaue die eingehende Nachricht an:
„Ich hab gesagt, wie Du dich melden sollst und du solltest meinen Anweisungen Folge leisten!“
Das sitzt, ich nehme mir den Brief nochmals zur Hand und überfliege, was für Anweisungen da draufstehen. Ich habe das Gefühl, dass ich wieder alles falsch mache.
Ich klingele nochmals, denn der Zutritt wurde mir verweigert. Was um alles in der Welt macht Yunus hier in dieser Wohnung, durchschießt es wieder mein Gehirn.
Doch nicht Yunus Stimme ertönt, sondern wieder die der Frau, steht er daneben um sich alles mit anzuhören, dass er sofort Bescheid wusste, dass ich mich falsch angemeldet habe?
„Bitte?“
„Katharina- ich werde erwartet“. Und der erlösende Ton des Summers eröffnet mir den Zugang.